Innovativ – Interview mit Michael Eberhardt

Michael Eberhardt ist seit 2011 Vorsitzender des Landesverbandes Hessen aus dem Verband deutscher Musikschulen [VdM], dem er auch direkt im erweiterten Bundesvorstand angehört. Der studierte Musikpädagoge und Instrumentallehrer war für 34 Jahre Leiter der Musikschule in Friedberg – eine Musikschule deren Gründung er anstieß, nachdem er bereits 15 Jahre lang in Bad Vilbel als Musikschullehrer arbeitete. In seiner Funktion als Sprecher des „Forum der musikpädagogischen Programme Deutschland“ hat er wie kaum ein anderer einen Überblick über die pädagogische Seite der hessischen Amateurmusiklandschaft. Daher ist er die geeignete Ansprechperson, die drängenden Fragen zu beantworten, die aktuell auch Musikvereine im ganzen Land beschäftigen. Wir freuen uns sehr, dass er sich zu diesem Interview bereit erklärt hat.

Herr Eberhardt, was würden Sie sagen, hatte 2024 die größten Auswirkungen auf die Musikschul-Branche?

M.E.: Dass die Beschäftigung von Musikschullehrkräften in der Regel nicht mehr auf Honorarbasis erfolgen kann. Öffentliche Musikschulen können dann womöglich ihre musikalische Bildungsstruktur nicht mehr aufrechterhalten.

Was genau ist das „Herrenberg-Urteil“?

M.E.: In dem betreffenden Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2022 geht es um die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen. Der konkrete Fall betraf eine Musikschullehrerin in Herrenberg (Baden-Württemberg), die auf Honorarbasis arbeitete. Das Gericht sah einen Fall von Scheinselbstständigkeit gegeben. Die Folgen des Urteils könnten nun alle Träger der Musikschulen dazu verpflichten, mit wenigen Ausnahmen keine Honorarlehrkräfte mehr zu beschäftigen. Von den rund 3.000 Lehrkräften in den hessischen Musikschulen wären rund 2.000 betroffen. Zurzeit laufen auf der Bundesebene Verhandlungen und politische Gespräche, wie die Aussagen aus dem Urteil in der Praxis zukünftig rechtssicher ausgelegt werden können. Dies betrifft nicht nur Musikschulen, sondern auch Volkshochschulen und den gesamten außerschulischen kulturelle Bildungsbereich.

Welche Auswirkungen haben diese Beschlüsse jetzt auf Musikvereine, die Lehrkräfte aus Musikschulen als Ausbilder/-innen beschäftigen?

M.E.: Sofern die betreffenden Musikschullehrkräfte im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses für die Musikvereine abgeordnet werden, kämen  entsprechende Mehrkosten durch die dann  fälligen Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung hinzu.

Wie bewerten Sie die bisherige Zusammenarbeit der Musikvereine und Musikschulen in Hessen?

M.E.: Die öffentlichen Musikschulen vermitteln als charakteristische kulturelle Bildungseinrichtung Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ihrem breit gefächerten Unterrichtsangebot eine Vorstellung von der außerordentlichen Vielfalt der Musik. Sie stehen dabei in der gesellschaftlichen Pflicht, die Teilhabe an Musik für alle sozialen Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten und dies zugleich mit der Möglichkeit einer umfassenden musikalischen Bildung zu verbinden. Vor diesem Hintergrund haben die öffentlichen Musikschulen auch das mögliche kulturelle  Umfeld der Schülerinnen und Schüler im Blick, zu dem neben den allgemeinbildenden Schulen auch die musiktreibenden Vereine gehören. Die gelingende Zusammenarbeit setzt allerdings auch das gegenseitige Wissen und Anerkennung der jeweiligen Handlungslogiken voraus. Hier steckt noch einiges an Arbeit drin.

Welche Projekte verfolgen Sie aktuell, um diese Kooperationen voranzubringen?

M.E.: Das Gesamtprogramm „Zusammenspiel Musik“ des Hessischen Kultusministeriums setzt sich aus den ursprünglichen Programmen „JeKi Hessen“ und „Kooperation Musikschule allgemeinbildende Schule“ zusammen. Das Programm JeKi Hessen ist für Grundschulen konzipiert, wodurch alle Kinder auf dem Land und in den Städten und gleich welcher Herkunft eine musikalische Teilhabe eröffnet wird. Meine Vision ist, dass wir hier insbesondere in den ländlichen Regionen mit dem gemeinsamen Programm JeKi+ (Musikverein) noch mehr Kinder in unseren hessischen Musikvereinen und unseren hessischen öffentlichen Musikschulen zum gemeinsamen Musizieren und Musikerleben zusammenbringen und damit auch Gemeinschaft und Demokratiebildung fördern und festigen. Diese Idee, die auch in vielen anderen Bundesländern wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, Sachsen, und Hamburg geteilt wird, liegt mir seit vielen Jahren sehr am Herzen. Ganz besonders freue ich mich daher über die erste Initiative eines Kooperationsprojekts des JeKi+ zwischen dem Musikverein Mainflingen und der Musikschule Seligenstadt.

Wie sollte aus Ihrer Sicht die ideale Zusammenarbeit von Musikschule und Musikverein aussehen?

M.E.: Die Musikvereine befinden sich wie die öffentlichen Musikschulen in einer gemeinsamen kommunalen Kulturlandschaft, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten zur aktiven Musizierpraxis führen. Gerade vor dem Hintergrund umfassender Musikalischer Bildung sollten sie diese idealerweise mehr denn je nicht in Konkurrenz, sondern in einem gelingende Netzwerk und daraus resultierender Synergien umsetzen.

Gibt es noch etwas, dass Sie Musikvereinen im Besonderen mit auf den Weg geben wollen?

M.E.: Musikvereine und Musikschulen sollten sich bei ihrer Zusammenarbeit auf Augenhöhe begegnen und sich im Vorhinein über gemeinsame Ressourcen und Ziele intensiv verständigen. Dies bezieht sich auch auf die Auswahl der Musikinstrumente, die sich primär an den Interessen der Kinder orientieren muss. An dieser Stelle kann sodann die Nachwuchsarbeit der Musikvereine anschließen.

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Das Interview führte Dr. Nicolas Ruegenberg

Wir danken für die Genehmigung der Veröffentlichung!

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Links und Quellenangaben